Finanzkennzahlen: was Kreditgeber wissen wollen

Laura Schaad - 29.06.2021
Finanzkennzahlen: was Kreditgeber wissen wollen

Symbolbild: Finanzkennzahlen (Quelle: Chris Liverani, Unsplash)

Sicher verwenden Sie in Ihrer Firma Kennzahlen, um jederzeit über den Gang der Geschäfte informiert zu sein. Dieselben Kennzahlen werden von Kreditgebern auch bei der Beurteilung Ihres Kreditantrags verwendet. Wenn Sie wissen, worauf die Finanzierungsgeber dabei achten, so können Sie die Erfolgschancen Ihrer Finanzierungssuche verbessern.


 

Autoren:   Daniel V. Christen

 


Kreditgeber verwenden Kennzahlen Ihres KMU, wenn sie Ihren Kreditantrag beurteilen. Um den Kredit zu bewilligen, wird zunächst ein «Rating» Ihres KMU berechnet. Das Rating macht Ihr Unternehmen bezogen auf das Ausfallrisiko des Kredits vergleichbar mit anderen Unternehmen, und jeder Kreditgeber hat deshalb Vergleichsmöglichkeiten und gewisse Vorstellungen, welche Werte die Kennzahlen Ihres KMU erreichen müssen für eine Kreditvergabe.

Zur Einstufung eines Unternehmens in eine Ratingklasse werden vor allem finanzielle Kennzahlen angewandt, ergänzt um einige wenige qualitative Einschätzungen. Die UBS etwa verwendet 13, die Credit Suisse sogar 18 verschiedene Ratingklassen. Die Einteilung in eine Ratingklasse wirkt sich direkt auf die Zinshöhe und andere Bedingungen der Finanzierung für Ihr KMU aus.

Welches sind nun die wichtigsten Kennzahlen, welche bei der Kreditvergabe an Ihr KMU eine Rolle spielen?

Es sind Kennzahlen aus den vier folgenden Bereichen besonders wichtig:

 

1. Liquidität und Verschuldung

Die Zahlungsbereitschaft verdient kurzfristig die höchste dauernde Beachtung. Die Unternehmung muss über genügend Mittel verfügen, um bestehende Verpflichtungen rechtzeitig zu erfüllen oder neue Verpflichtungen wie Zins- und Amortisationszahlungen auf einem zusätzlichen Kredit einzugehen. Zu viel Liquidität ist aber wie totes Kapital, das nicht arbeitet und keine Rendite erwirtschaftet. Ein Absinken der Liquidität hingegen ist ein Warnzeichen, das nicht ignoriert werden darf, denn es ist lebensbedrohlich.

Die wichtigste Kennzahl für die Liquidität ist der «Liquiditätsgrad 2»:

Aussage: Wie oft deckt die Summe aus Zahlungsmitteln und offenen Kundenrechnungen die kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen?
Berechnung = (Flüssige Mittel + Debitoren) : kurzfristiges Fremdkapital
Empfohlener Wert: ca. 1x

Andere Kennzahlen zur Liquidität: Liquiditätsgrad 1, Liquiditätsgrad 3, Verschuldungsfaktor

 

2. Ertragskraft und Rentabilität

Die Unternehmung muss mit ihren verkauften Leistungen am Markt einen genügend grossen Ertrag erzielen, um zunächst alle Kosten zu decken und danach noch eine Rendite auf dem Kapitaleinsatz von Eigentümern und Dritten zu erzielen. Die Eigenkapitalrendite steigt durch zusätzlichen Fremdkapitaleinsatz, sofern die Gesamtkapitalrentabilität grösser ist als der Fremdkapitalzins («Leverage Effekt»). Zu viel Fremdkapital verteuert aber die weitere Kreditaufnahme und die Rentabilität sinkt. Sinkende Margen und damit tiefere Rentabilität kann kurzfristig toleriert werden, etwa wenn hohe Aufwände für Forschung-, Entwicklung- und Markteinführungen mittelfristig zu neuer Ertragskraft führen.
Die wichtigsten Kennzahlen für Rentabiliät sind «Eigenkapitalrendite» und «Gesamtkapitalrendite»:

Aussage: Welche Rendite erzielt der Eigentümer (Eigenkapitalrendite), welche alle Kapitalgeber (Gesamtkapitalrendite) im Schnitt in einem Geschäftsjahr?
Berechnung:
Eigenkapitalrendite = Gewinn : [(Eigenkapital anfangs Jahr + Eigenkapital Ende Jahr) : 2]
Gesamtkapitalrendite = (Gewinn + Kreditzinsen) : [(Gesamtkapital anfangs Jahr + Gesamtkapital Ende Jahr) : 2]
Empfohlener Wert: Extrem branchenabhängig.

Andere Kennzahlen zur Rentabilität: Umsatzrendite auf Eigen -und Gesamtkapital, Umsatzmargen aus der Erfolgsrechnung.

 

3. Bilanzsolidität und finanzielle Unabhängigkeit

Je höher der Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme, desto grösser die Unabhängigkeit von dritten, aussenstehenden Finanzierungsgebern. Und desto grösser das Potenzial, zusätzlichen Kredit zu erhalten. Bei zu viel Fremdkapital fürchtet der Unternehmer um seine Unabhängigkeit, und dass ihm die externen Kreditgeber dreinzureden beginnen. Aber wenn alles nur mit Eigenkapital finanziert wird, so limitiert das die Entfaltungsmöglichkeiten der Unternehmung und schränkt damit ihr Potenzial stark ein.
Die wichtigsten Kennzahlen für Bilanzsolidität und Unabhängigkeit sind «Eigenfinanzierungsgrad» und «Anlagendeckungsgrad 1»:

Aussage: Welcher Anteil am Gesamtkapital kontrolliert der der Eigentümer (Eigenfinanzierungsgrad), wieviel des Anlagevermögens ist selbst finanziert (Anlagendeckungsgrad)?
Berechnung:
Eigenfinanzierungsgrad = Eigenkapital : Bilanzsumme
Empfohlener Wert: kein allgemeiner Richtwert, oft 30 – 60%
Anlagendeckungsgrad 1 = Eigenkapital : Anlagevermögen
Empfohlener Wert: 75 – 100%

Andere Kennzahlen zur Bilanzsolidität: Fremdfinanzierungsgrad, Anlagendeckungsgrad 2.

 

4. Tragbarkeit des Kredits

Diese Kennzahl kennt man aus der Finanzierung von Wohneigentum. Der kreditsuchende KMU muss den Kredit auch «tragen» können, was heisst, die Zahlungen für Zinsen und Rückzahlungen des geliehenen Kapitals aus Bargeldmitteln muss jederzeit vertragsgemäss erfolgen können. Das Mass der Tragbarkeit ist der operative Cash Flow, das aus dem operativen Geschäft erwirtschaftete Bargeld.
Die wichtigsten Kennzahlen für die Tragbarkeit ist der «EBITDA» oder «operativer Cash Flow»:

Aussage: Wie oft kann der Kreditgeber den Kredit mit Zinsen aus seinem Tagesgeschäft zurückzahlen?
Berechnung:
EBITDA = Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen, Rückstellungen : (Kredite + Kreditzinsen)
Empfohlener Wert: oft 3-4x
Cash Flow = (Liquiditätswirksamer Ertrag – liquiditätswirksamer Aufwand) : (Kredite + Kreditzinsen)
Empfohlener Wert: 2-3x

Andere Kennzahlen zur Tragbarkeit: Indirekt berechneter Cash Flow, Free Cash Flow

 

6 Tipps, wie Sie die Kennzahlen bestmöglich nutzen

1. Wählen Sie möglichst wenige, aber für Ihr KMU aussagekräftige Kennzahlen, welche alle 4 für KMU besonders relevante Bereiche abdecken.

2. Bereinigen Sie die Ausgangszahlen vor Berechnung der Kennzahlen (Ausserordentliches, stille Reserven, interne Verrechnungspreise etc.).

3. Berechnen und rapportieren Sie die Kennzahlen in regelmässigen Abständen und beachten Sie die zeitliche Entwicklung.

4. Behalten Sie die Übersicht, was sich hinter den Kennzahlen verbirgt und wie diese gemessen werden, um Interpretationsfehler zu vermeiden.

5. Kennzahlen basieren auf Buchhaltungszahlen aus der Vergangenheit und sind deshalb als Entscheidungshilfe für die Zukunft nur beschränkt nützlich. Deshalb unbedingt auch nicht-finanzielle Steuergrössen berücksichtigen.

6. Kennzahlen sind kein Selbstzweck. Die Analyse der Kennzahlen sollte deshalb mehr Zeit erhalten, als deren Berechnung. Nur so können Sie die richtigen Schlüsse ziehen.