Wie digital ist der Schweizer Finanzierungsmarkt?

Laura Schaad - 20.09.2021
Wie sieht Digitalisierung im Firmenfinanzierungsgeschäft aus?

Symbolbild: Digitalisierung der Finanzierung (Quelle: ipopba, Unsplash)

Die Digitalisierung ist in unserem Alltag angekommen. Doch wie sieht das im Firmenfinanzierungsgeschäft aus?


 

Autoren: Daniel Christen
                   Alexander Rohwedder

 


„Nur Bares ist Wahres“ – dieses wohlbekannte Sprichwort verliert zunehmend seinen Wahrheitswert. Schliesslich hat das kontaktlose Bezahlen und E-Banking seit der Covid-19-Pandemie viel Aufschwung erhalten. Banken haben in den letzten Jahren viele ihrer Dienstleistungen für Privatpersonen digitalisiert und uns damit den privaten Alltag erleichtert. Doch wie steht es um die Digitalisierung des Finanzierungsgeschäfts für KMU?

In der Schweiz haben KMU Auswahl aus verschiedenen Anbietern:

  1. Das traditionelle Modell ist die Bank – für viele Unternehmer/innen auch die Hausbank. Es besteht eine lange Geschäftsbeziehung, die Formalitäten sind bereits erledigt, persönlicher Kontakt sowie gegenseitiges Verständnis sind etabliert. So stellen Bankenkredite für Schweizer KMU nach wie vor die wichtigste Quelle dar: 400 Milliarden Franken im 2020.
  2. Relativ neu am Markt sind die Crowdlender. Ein Anleger aus dem Publikum, der eine bestimmte Geldsumme anlegen will, stellt diese einem Unternehmer für eine gewisse Zeit zur Verfügung. Der Crowdlender organisiert diesen Darlehensverkehr und betreut beide Parteien während der ganzen Laufzeit. Es gibt inzwischen 13 Crowdlender, die im Jahr 2020 etwa 100 Millionen Franken vergeben haben.
  3. Spezialanbieter bieten nicht wie die anderen eine breite Palette von Lösungen, sondern haben sich auf eine bestimmte Art der Finanzierung spezialisiert wie Leasing, Factoring, Umlaufkapitalfinanzierungen, Hypotheken oder Teilgebiete von Coporate Finance.

 

Digitalisierungsstand bei den traditionellen Banken

Eine Umfrage der Schweizerischen Nationalbank im Jahr 2019 zur Digitalisierung der Banken zeigt, dass die Thematik mit gemischten Gefühlen betrachtet wird. Zwar sind sich die Banken bewusst, dass sie sich inmitten eines strukturellen Wandels befinden und eine Digitalisierung unumgänglich ist. Schliesslich können damit Kosten gesenkt werden und man kann sich dem Kunden attraktiver präsentieren. Allerdings kämpfen die tradionellen Banken gerade an verschiedenen Fronten, weshalb die Digitalisierung des Firmenkreditgeschäfts keine grosse Priorität hat (SNB).

Die Management- und Technologieberatungsfirma Bearing Point bestätigt diesen Schweizer Befund für den ganzen deutschsprachigen Raum: Die Bankenbranche ist inmitten eines epochalen Wandels. Sinkende Erträge, langanhaltende Niedrigzinspolitik, steigende regulatorische Anforderungen, neue Erwartungen der Kunden und Mitarbeitenden sowie innovative Disruptoren sind nur ein Auszug der externen Herausforderungen. Innovative Lösungsansätze werden dabei von internen Problemstellungen wie hierarchischen und wenig agilen Unternehmenskulturen, veralteten IT­-Landschaften, ungeeigneten Datenarchitekturen sowie Kompetenzlücken behindert. Omnipräsente, technologische Trends wie zum Beispiel Blockchain, Robotic Process Automation, Artificial Intelligence und Advanced Analytics erhöhen zeitgleich den Druck, in diese innovativen Lösungen zu investieren(Bearingpoint).

Untätig sind die Banken in der Digitalisierung aber nicht. Es ist halt nur wenig bekannt, dass die Banken sogar zu den grössten Schweizer IT-Arbeitgebern gehören. Bankeninterne Arbeitsplätze sind inzwischen weitgehend digitalisiert. Und auch das Privatkundengeschäft ist mittlerweile stark digitalisiert – so können Sie heute ein Konto rein online erstellen, was vor einigen Jahren ohne Filialbesuch noch undenkbar gewesen wäre.

Nur der KMU-Kunde merkt davon noch wenig. Auch zwei Jahre nach der Umfrage der Nationalbank werden Geschäftsunterlagen noch immer in Papierform oder per Email verlangt und Formulare und Verträge werden auf Papier zur Unterschrift vorgelegt. Die Prozesse sind zeitintensiv und für den Kunden nur schlecht verständlich. Der Kundendienst ist zentralisiert, der Ansprechpartner wechselt, die Bank ruft von einer anonymen Telefonummer an, die bei Firmenkunden dann oft automatisch abgeblockt wird.

Doch auch hier entsteht langsam Bewegung: Plattformstrategien, welche Angebote mehrerer Anbieter für den Interessenten bündeln tauchen am Markt auf. Die UBS war die erste Schweizer Bank, welche ihren KMU-Kunden das sogenannte „Multibanking im E-Banking“ anbot. Konten von Drittbanken können in das UBS E-Banking integriert und von dort aus zentral bewirtschaftet werden. Der KMU hat so auf einer einzigen Plattform einen konsolidierten Überblick über alle seine Bankverbindungen. Das schafft auf Seiten der Unternehmung dank der Digitalisierung spürbare Effizienzgewinne in der Administration. Inzwischen ist diese Lösung für Firmenkunden bei mehreren Banken im Angebot.

 

Digitalisierungsstand bei modernen Crowdlendern

Crowdlender sind jung verglichen mit Banken. So wurde der erste Schweizer Crowdlending-Anbieter Cashare erst im Januar 2008 als Pionier einer neuen Branche gegründet; heute treten 13 Crowdlender-Anbieter am Schweizer Markt auf.

Gegenüber den traditionellen Banken hatten die Crowdlender den Vorteil, dass sie sich nicht von Unternehmenskultur oder Legacy-IT-Systemen bremsen lassen mussten. So konnten elegante Lösungen entstehen, deren Prozesse digital abgewickelt werden können. Onboarding und Verwaltung sind für Firmen und Anleger weitestgehend digitalisiert. Oft unter Zuhilfenahme von Schnittstellen und Fremdapplikationen. Etwas wogegen sich IT-Abteilungen in den Banken lange – und inzwischen vergeblich – gewehrt hatten. Für die eigentliche Finanzierungsberatung wird dann der persönliche Kontakt gesucht und geschätzt.

Eine Studie des IFZ betont, dass viele Crowdlending-Plattformen die Innovationstreiber im Schweizer Fremdkapitalmarkt sind. Sie gehörten zu den ersten, die vorwiegend digitale Kreditvergabeprozesse für KMU anboten. Somit überrascht es nicht, dass die klassischen Finanzinstitute die Entwicklung ernst nehmen. Manche Banken und Versicherungen haben sich bereits an Fintechs beteiligt oder sind Kooperationen mit ihnen eingegangen (IFZ).

 

Digitalisierungsstand von Spezialanbietern

Neben den klassischen Banken und den digitalen Crowdlendern gibt es noch eine Vielzahl an Anbietern von Spezialfinanzierungen, beispielsweise Factoring, Leasing, Mezzanine- oder Venture Kapital. Je nach deren Spezialisierung sind die Geschäftsprozesse einfacher oder schwerer zu digitalisieren.

Spezialfinanzierer mit Massengeschäft – Leasing, Factoring, Inkasso etwa – bieten den KMU-Kunden seit langem hochdigitalisierte Kundenportale und Abläufe an. So kann ein KMU eine neue Maschine zum Kauf auswählen und bei mehreren Anbietern vollkommen digital eine Leasingofferte einholen. Und KMU, die Investitonsgüter verkaufen, können bei vielen Leasinganbietern digital ein „Käuferleasing“ ausrechnen lassen und dann ihrem eigenen Käufer als attraktive Zahllösung anbieten. Factoring- und Inkassolösungen beschäftigen sich beide mit Debitoren und deren Dokumentenlauf und Fristen, was sich geradezu für die Digitalisierung anbietet.

Nischenspezialisten wie Berater in nachrangigen Hypotheken und Krediten, oder Private Equity Anbieter und Finanzberater können ihre Abläufe hingegen nur schwer über normale Softewarepakete, Datenbankenapplikationen und handelsübliche Uploadlösungen hinaus digitalisieren. Es steht das Einzelgeschäft und die Beratungsleitung im Vordergrund, wo Effizienz und Kundennutzen akzeptierterweise auf traditionelle Weise entstehen.

Aber die Ausnahmen bestätigen die Regel: Das Schweizer Hitech Startup Raized.ai baut eine Applikation, welche Venture Capital-Firmen mithilfe von künstlicher Intelligenz zu deren Investitionskriterien passende Firmen aufzeigt in dem Moment, wo diese Firmen gerade auf Geldsuche sind. Und der Crowdlender Swisspeers hat zusammen mit der ZHAW im Rahmen eines Forschungsprojekts eine digitale Finanzierungslösung für Mezzanine-Kapital entwickelt und in einem Proof of Concept erfolgreich durchgeführt.

 

Welche Vorteile ergeben sich für KMU?

Das Institut für Mittelstandsforschung Bonn hat sich in einer Studie dieser Frage gewidmet und direkte sowie indirekte Vorteile für KMUs herausgearbeitet. Direkte Vorteile beziehen sich dabei auf Dienstleistungen und Produktinnovationen der Fintechs selbst, indirekte Vorteile beziehen sich auf den Wandel, der am Markt hervorgerufen wird. (IfM Bonn)

 

Direkt

  • Finanzierungen werden ermöglicht, die vorher nicht durchführbar gewesen wären
  • Es ist einfacher, die Abhängigkeit von einzelnen Finanzierungspartnern zu senken und den eigenen Finanzierungsmix besser zu gestalten
  • Die Finanzierungszusage bzw. Absage wird schneller erteilt
  • Eine erhöhte Transparenz verbessert die Konditionen
  • Finanzierungsprodukte können individueller auf den Kunden zugeschnitten werden
  • Öffentliche Finanzierungsaufrufe können die Bekanntheit des Kunden erhöhen
  • Fintechs bieten oft zusätzliche Werkzeuge an (bspw. Analyse von Unternehmensdaten), die der Kunde benutzen kann

 

Indirekt

  • Der Kunde wird wieder ins Zentrum aller Überlegungen gestellt
  • Etablierte Finanzinstitute müssen nachziehen, digitalisieren ihre Prozesse und verbessern ihre Produkte
  • Durch Kooperationen zwischen Banken und Fintechs können Bestandskunden mehr Dienstleistungen angeboten werden
  • Die Konditionen können sich verbessern

 

Was bedeutet das für Ihr KMU?

Durch den Wettbewerbsdruck, den die Fintechs augelöst haben, und durch den internen Anpassungsdruck müssen etablierte Banken Ihre Geschäftsmodelle anpassen und sie wählen dazu massive Digitalisierung. Vorerst sind die Effizenzgewinne eher noch bankintern, aber die ersten kundenrelevanten Verbesserungen tauchen nun auch im KMU-Geschäft auf. Einen Schritt voraus sind Crowdlender und Spezialfinanzierer im Massengeschäft, die immer schon digitale Angebote und Kundenschnittstellen anboten.

Haben Sie also ein kleines oder junges Unternehmen, so gehören Sie zu den grössten Profiteuren. Vor allem wenn Ihr Geschäftsmodell für klassische Finanzierungspartner zu risikoreich ist, können Sie bei Crowdlendern und Spezialfinanzierern Zugang zu Fremdkapital erhalten. Aber jeder Unternehmer beginnt nun auch, innerhalb einer bestehenden Bankbeziehung von kundenfreundlicheren digitalen Angeboten und erhöhter Automatisierung zu profitieren.